Viele Gelehrte übersetzen das Paliwort dukkha mit »Leiden« und »die edle Wahrheit vom Leiden«.
Dies ist jedoch eine ungenügende Übersetzung des Begriffs dukkha: Sieht es doch danach so aus, als wenn nach buddhistischer Philosophie das Leben nur aus Schmerz und Leid besteht.
Der Buddhismus wird dadurch oft als pessimistisch dargestellt – was er nicht ist.
Der Buddhismus ist realistisch
Der Buddhismus ist weder pessimistisch noch optimistisch, sondern realistisch. Der Buddhismus sieht die Welt und das Leben wie es ist.
Er vermittelt nicht das Gefühl man lebe in einem Paradies, und er quält nicht mit eingebildeten Ängsten und Sünden.
Der Buddhismus sagt was der Mensch ist und wie seine Umwelt aufgebaut ist.
Der Buddhismus lehrt einen Weg zu Glück, Ruhe, Freiheit und Frieden.
Was bedeutet dukkha?
Das Wort dukkha lässt sich nicht einfach so übersetzen. Es bedeutet in der üblichen Übersetzung zwar Leiden, Elend oder Kummer; es hat aber eine viel tiefere Bedeutung und beinhaltet auch Vorstellungen wie Unwirklichkeit, Unvollkommenheit, Unbeständigkeit und Nichtigkeit.
Somit ist es besser, den Begriff dukkha nicht zu übersetzen – statt ihn nur mit negativen Worten wie Leiden und Elend zu bezeichnen und dadurch eine falsche Vorstellung von dukkha zu bekommen.
Auch wenn es Leid im Leben gibt, hat Buddha nie das Glück im Leben geleugnet. Buddha kannte mehrere Arten von materiellem und geistigem Glück:
- das Glück eines Lebens als Einsiedler und das Glück einer Familie
- das Glück der Enthaltsamkeit und das Glück der Sinnesfreuden
- das Glück des Loslassens und das Glück des Anhaftens
- körperliches und geistiges Glück
Jedoch sind alle diese Arten des Glücks auch in dukkha enthalten – selbst die Zustände von Ruhe und tiefer Versenkung während der Meditation sind in dukkha enthalten.
Diese Zustände sind zwar frei von schlechten oder guten Gefühlen – es sind Zustände reiner Achtsamkeit und Gleichmut – aber sie dauern nicht an, sind daher vergänglich, dukkha und dem ständigen Wechsel unterworfen.
Buddha benutzt hier ausdrücklich das Wort »dukkha«. Diese Zustände sind zwar kein Leiden im gewöhnlichen Sinn des Wortes dukkha, jedoch sind sie keine dauerhaften Zustände und somit vergänglich. Man muss hier klar erkennen und verstehen: Alles Vergängliche ist dukkha.
Drei Sichtweisen auf dukkha
Dukkha kann auf 3 Arten betrachtet werden:
1. dukkha durch gewöhnliches Leiden
2. dukkha durch Veränderung
3. dukkha durch bedingte Daseinsvorgänge
In »dukkha durch gewöhnliches Leiden« sind alle gewöhnlichen Sorgen, Ängste und Probleme:
- Geburt
- Krankheit
- Alter
- Tod
- Schlechte Lebensumstände
- Trennung von geliebten Menschen
- Zusammensein mit unangenehmen Menschen
- Kummer
- Unerfüllte Wünsche und Träume
- Schmerz
- …
Du kennst solche Auslöser für körperlichen und geistigen Schmerz: sie fallen alle unter »dukkha durch gewöhnliches Leiden«.
»Dukkha durch Veränderung« entsteht bei sich ändernden Lebensumständen. Glückliche Momente dauern nicht ewig, irgendwann ändern sie sich. Das führt wieder zu Leiden, Kummer und Schmerz.
Die dritte Form »dukkha durch bedingte Daseinsvorgänge« ist nicht ganz so leicht zu begreifen. Es ist allerdings äußerst wichtig, diese Form von dukkha ganz klar zu verstehen.
Deshalb muss zunächst untersucht werden, was wir überhaupt als »Lebewesen«, »Persönlichkeit«, »Individuum« oder »Ich« bezeichnen.
Das Lebewesen und die fünf Daseins-Gruppen
Im Buddhismus besteht ein »Lebewesen«, »Individuum« oder »Ich« aus geistigen und körperlichen Energien oder Kräften, die sich ständig verändern und voneinander abhängen.
Diese Kräfte oder Energien sind in fünf Gruppen eingeteilt:
1. Körperlichkeit
2. Gefühle
3. Wahrnehmungen
4. Geistformationen
5. Bewusstsein
Die »Körperlichkeits-Gruppe« bildet unsere innere und äußere Materie. Sie setzt sich zusammen aus Festem, Flüssigem, Wärme und Bewegung – den vier Grundelementen.
Abhängig von der Körperlichkeit sind die Fähigkeiten unserer Sinnesorgane: Augen, Ohren, Nase, Zunge und Körper. Um die Fähigkeiten zu aktivieren, brauchen wir Objekte, die unsere Sinnesorgane ansprechen.
Jedes Sinnesorgan benötigt dazu passende Objekte: Bei den Augen sind es die sichtbaren Formen, bei den Ohren die Töne, bei der Nase die Gerüche, bei der Zunge der Geschmack und beim Körper die berührbaren Objekte. Dazu kommen noch einige Begriffe und Vorstellungen, die dem Geist als Objekte dienen.
In der »Gefühls-Gruppe« sind unsere Gefühle wie Zufriedenheit, Trauer, Schmerz, Freude, Hass, Wut, Eifersucht, Egoismus, Zweifel, … – kurz gesagt: alle angenehmen, unangenehmen oder neutralen Gefühle, die ausgelöst werden durch Kontakt der Sinnesorgane mit den dazugehörigen Objekten der Außenwelt.
Die Gefühle entstehen demnach durch sechs Arten: Augen, Ohren, Nase, Zunge, Körper und Geist. Im Buddhismus wird der Geist nämlich als sechstes Kontaktorgan zur Außenwelt gesehen.
Mit dem Begriff »Geist« ist hier aber nicht das Gegenteil von »Materie« gemeint. Der Buddhismus erkennt den Gegensatz »Geist-Materie« nicht an.
Der Geist ist in der buddhistischen Philosophie nur ein Organ oder Fähigkeit, wie das Ohr oder Auge. Der Geist erfasst dabei unsere Vorstellungen und Gedanken, während das Auge sichtbare Formen und das Ohr die Welt der Töne erfasst.
Die Geistesobjekte, also unsere Vorstellungen und Gedanken, sind dabei oft abhängig von den körperlichen Erfahrungen, die Augen, Ohren, Nase, Zunge oder Körper mit den Objekten der äußeren Welt machen.
Die dritte Gruppe ist die »Wahrnehmungs-Gruppe«. Sie erkennt die körperlichen und geistigen Dinge – nimmt die Dinge wahr, die durch die sechs Fähigkeiten unserer Sinnesorgane und den zugehörigen Objekten der Außenwelt entstehen.
Die Wahrnehmung erkennt, ob eine Farbe grün oder rot ist. Das Auge selbst kann die Farbe nicht erkennen.
Die »Geistformationen-Gruppe« ist die vierte Gruppe. Sie enthält alle geistigen Tätigkeiten wie unsere Gedanken und Vorstellungen sowie alle guten und schlechten Willenstätigkeiten.
Was wir allgemein als Karma kennen, fällt auch in diese Gruppe.
Buddha bezeichnete Karma als Wollen: »Erst nachdem man gewollt hat, handelt man durch Körper, Rede und Geist.«
Wollen ist ein geistige Tätigkeit und soll den Geist in gute, schlechte oder neutrale Bereiche lenken.
Gefühle und Wahrnehmungen wirken sich jedoch nicht auf das Karma aus.
Karmische Folgen haben nur Willenstätigkeiten, wie: Widerstreben, Begierde, Hass, Weisheit, Aufmerksamkeit, Vertrauen, Wille, Konzentration, Tatkraft, …
Die fünfte Gruppe ist die »Bewusstseins-Gruppe«. Bewusstsein entsteht immer dann, wenn unsere sechs Fähigkeiten der Sinnesorgane mit den Objekten der Außenwelt in Berührung kommen.
Wenn das Auge auf sichtbare Formen trifft, entsteht Bewusstsein und wird »Sehbewusstsein« genannt.
Wenn unser Ohr auf Töne trifft, entsteht Bewusstsein und wird »Hörbewusstsein« genannt.
Wenn unsere Nase auf Gerüche trifft, entsteht »Riechbewusstsein«.
Wenn unser Geist auf Gedanken und Vorstellungen trifft, entsteht »Denkbewusstsein«.
Wenn der Körper auf berührbare Objekte stößt, entsteht »Tastbewusstsein«.
Daraus erkennst du: Bewusstsein ist stets abhängig von den sechs Fähigkeiten der Sinnesorgane, plus die entsprechenden Objekte der äußeren Welt.
Bewusstsein kann niemals unabhängig davon entstehen: Ohne Licht und sichtbare Formen entsteht kein Sehbewusstsein; ohne Töne entsteht kein Hörbewusstsein; ohne Gedanken und Vorstellungen entsteht kein Denkbewusstsein; ohne berührbare Objekte entsteht kein Tastbewusstsein; ohne Gerüche entsteht kein Riechbewusstsein.
Wichtig ist, zu verstehen: Das Bewusstsein erkennt die Objekte der Außenwelt nicht. Das Bewusstsein allein kann nicht erkennen ob eine Farbe grün ist.
Bewusstsein ist nur die reine Aufmerksamkeit auf die Gegenwart der Farbe – mehr nicht. Hier gibt es noch kein erkennen; die Farbe sehen ist noch kein erkennen der Farbe. Jedoch die dritte Gruppe, die Wahrnehmungs-Gruppe, erkennt, dass die Farbe grün ist.
»Sehbewusstsein« ist nur ein philosophischer Begriff für das gebräuchliche Wort »Sehen« – Denkbewusstsein für Denken, Hörbewusstsein für Hören usw.
Was ist der Geist?
Wie schon erwähnt gibt es im Buddhismus keinen »Geist«, der ewig und unveränderlich im Gegensatz zur Materie steht.
Gefühl, Wahrnehmung, geistige Tätigkeiten und Bewusstsein, können zusammenfassend zwar als Einheit unter dem Begriff »Geist« betrachtet werden – jedoch darf es nicht als was Substantielles, Bleibendes verstanden werden, da es ein Prozess ist, der sich ständig ändert und in keinen zwei Momenten gleich ist.
Bewusstsein ist stets abhängig von Körper, Gefühl, Wahrnehmung oder Geistformationen – Bewusstsein kann niemals unabhängig davon entstehen.
Das muss nochmal besonders betont werden, denn es gibt immer noch Leute, die behaupten: Buddha lehrte, das Bewusstsein sei eine Art »Selbst«, unsterbliche »Seele« oder »Ich« – eine fortbestehende Substanz, die das Leben überdauert.
Dies ist jedoch eine falsche Annahme, die sich leider schon seit frühesten Zeiten immer noch hartnäckig erhält.
Buddha hat die Existenz eines »Ich« immer geleugnet und stets die Lehre vom »Nicht-Ich« gelehrt.
Das waren in kurzer Form die fünf Gruppen, aus denen ein Lebewesen besteht.
Da alle fünf Gruppen miteinander verbunden sind und zusammen wirken, drängt sich in uns die Vorstellung eines »Ich«, eines »Selbst« oder einer unsterblichen »Seele« auf.
Dies ist jedoch eine Illusion und letztendlich nur ein bequemer Name für die Verbindung der fünf Gruppen.
Die fünf Daseins-Gruppen sind alle vergänglich und verändern sich ständig: »Alles Vergängliche ist dukkha«.
Buddha meint damit: Diese fünf Gruppen des Anhaftens, die falsche Vorstellung, die Illusion eines »Ich« oder einer unsterblichen »Seele« und das Anhaften daran, sind, kurz gesagt: dukkha.
Es gibt innerhalb der fünf Gruppen keinen unveränderlichen Kern, keine ewige Seele. Die fünf Gruppen ändern sich ständig; sie entstehen und vergehen, sind in keinen aufeinander folgenden Momenten gleich.
Alles befindet sich in einer Kette von Ursache und Wirkung. Ein Ding verschwindet und bedingt das Entstehen des nächsten. Da ist kein unveränderlicher Kern. Da ist keine unsterbliche »Seele«, kein unvergängliches »Selbst«. Da ist kein »Ich«.
Du wirst mir zustimmen, dass man Körperlichkeit, Gefühl, Wahrnehmung, geistige Tätigkeiten wie auch Bewusstsein, nicht wirklich als ein »Ich« bezeichnen kann. Aber: wenn alle Gruppen miteinander wirken, entsteht die Illusion eines »Ich«.
Doch diese falsche Vorstellung eines »Selbst« ist nur eine geistige Tätigkeit, so wie alle anderen geistigen Tätigkeiten auch.
Diese Illusion eines »Ich« ist tief verwurzelt in der Gruppe der Geistformationen, der vierten Gruppe der soeben besprochenen fünf Daseinsgruppen.
Nun erkennst du: Die Verbindung der fünf Gruppen des Daseins – was wir allgemein als »Lebewesen« oder »Ich« bezeichnen – ist selbst dukkha. Die fünf Gruppen des Anhaftens sind dukkha.
Wer denkt denn da?
Das Denken ist nur eine geistige Tätigkeit. Hinter dem Denken steht kein Denker. Denken selbst ist der Denker. Nimmt man das Denken weg, bleibt kein Denker zurück.
Hinter der Bewegung steht kein fester Beweger. Es bleibt auch kein Beweger zurück, wenn es keine Bewegung mehr gibt.
Buddha sagte: »Bloß dukkha gibt es, doch kein »Ich« ist da, das dukkha erfährt. Bloß Taten gibt es, doch kein »Ich« ist da, das Taten vollbringt.«
Das war in Kurzform die Lehre der »Ersten Edlen Wahrheit«. Es ist wichtig, diese genau zu verstehen.
Wer die erste Wahrheit versteht, versteht auch die anderen Wahrheiten – versteht, was dukkha ist, wie dukkha entsteht, wie dukkha aufgelöst wird und versteht auch den Pfad zur Auflösung von dukkha.
Jetzt, wo die Illusion vom »Ich« zerstört ist, denkst du vielleicht: ein Buddhist führt ein trauriges Leben. Nein, keineswegs.
Genau das Gegenteil ist der Fall: Ein richtiger Buddhist ist stets gut gelaunt und gelassen, hat keine Angst, lässt sich durch Unglück oder Veränderungen nicht verschrecken – er sieht die Welt und die Dinge so wie sie sind.
Buddha war niemals traurig oder schlecht gelaunt; er hatte stets ein Lächeln im Gesicht.
Jeder erlebt Leid in irgendeiner Form. Doch es bringt nichts, sich über Leiden zu ärgern, ungeduldig oder unglücklich zu sein. Die Situation wird dadurch nicht besser sondern schlimmer – vor allem löst es das Problem nicht.
Dagegen musst du jedoch das Wesen des Leidens verstehen. Du musst wissen, wie Leiden entsteht, was die Ursache des Leidens ist.
Dann kannst du mit Willenskraft, Entschlossenheit, Konzentration und viel Geduld daran arbeiten, die Ursachen des Leidens zu beseitigen.
Lies bitte hier weiter: Die »Zweite Edle Wahrheit«